Die Berufsunfähigkeitsversicherung ist eine essentiell wichtige Absicherung. Der Erhalt der Versicherungsleistungen hat oft existentielle Bedeutung.
Die Berufsunfähigkeitsversicherung (kurz BU-Versicherung) ist neben der Unfallversicherung der bekannteste Zweig der Invaliditätsabsicherung. Sie kann als Zusatzversicherung
(Berufsunfähigkeitszusatzversicherung, BUZ) zu einer Lebensversicherung oder Rentenversicherung oder als selbständige Berufsunfähigkeitsversicherung (SBU) abgeschlossen werden.
Doch Rund ein Viertel der Anträge auf eine Berufsunfähigkeitsrente (BU-Rente) lehnen die Versicherer ab. Häufigster Grund für eine Ablehnung durch den Versicherer ist, dass der Leistungsantrag
nicht vollständig ausgefüllt wurde.
Deshalb gilt: lassen Sie sich bereits bei der Antragstellung beraten!
Berufsunfähigkeit in der privaten Absicherung
Versichert ist bei einer Berufsunfähigkeitsabsicherung die individuelle berufliche Leistungsfähigkeit des Versicherungsnehmers in Bezug auf seinen zuletzt ausgeübten Beruf oder auf eine andere Tätigkeit, die der Versicherungsnehmer (mittlerweile) tatsächlich ausübt. Versichertes Risiko ist grundsätzlich der (teilweise) Wegfall der Berufsfähigkeit aus gesundheitlichen Gründen (Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfall), zu zumindest 50 %.
Folgende Versicherungsbestimmungen von Berufsunfähigkeit sind sehr oft anzutreffen:
„Vollständige Berufsunfähigkeit liegt vor, wenn der Versicherte infolge Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfalls, die ärztlich nachzuweisen sind, voraussichtlich für die Dauer von
mindestens drei Jahren (Prognosezeitraum) außer Stande ist, seinen Beruf, wie er vor Eintritt der Krankheit, Körperverletzung oder des Kräfteverfalles beschaffen war, auszuüben.“
Eine weitere Formulierung lautet:
„Vollständige Berufsunfähigkeit liegt vor, wenn der Versicherte infolge Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfalls, die ärztlich nachzuweisen sind, voraussichtlich für die Dauer von
mindestens drei Jahren (Prognosezeitraum) außer Stande ist, seinen Beruf oder eine andere Tätigkeit auszuüben, die er auf Grund seiner Ausbildung und Erfahrung ausüben kann und die seiner
bisherigen Lebensstellung entspricht (Verweisungsberuf).“
Verweisung
Abstrakte Verweisung bedeutet, dass der Versicherte, der in seinem „alten“ Beruf zwar nicht mehr arbeiten kann, aber auf die Ausübung einer „neuen“ Tätigkeit verwiesen wird; diese übt er tatsächlich nicht aus, es genügt jedoch, dass er es könnte. Verrichtet er die „neue“ Tätigkeit nicht, erhält er keine Leistungen. In der Berufsunfähigkeitsversicherung ist die abstrakte Verweisbarkeit aus Sicht des Versicherten von besonderer Bedeutung, da es für die Verweisbarkeit unerheblich ist, ob die Arbeitsmarktsituation die Aufnahme eines anderen Berufes zulässt. Das Risiko, trotz vorliegender Berufsunfähigkeit den Berufswechsel erfolgreich zu gestalten, geht vollständig zulasten des Versicherten.
Davon abzugrenzen ist die konkrete Verweisung. Hier übt der Versicherte bereits eine „neue“ Tätigkeit aus. Ist die neue Tätigkeit im Hinblick auf die persönlichen Kenntnisse und Bezahlung mit dem
ursprünglichen Beruf vergleichbar, kann die Versicherung die Zahlung der BUV verweigern. Ist der neue Job jedoch mit erheblichen Gehaltseinbußen verbunden, muss die Berufsunfähigkeitsversicherung
ausgezahlt werden, um den bisherigen Lebensstandard zu wahren.
Darüber hinaus gilt ein Patient nur dann als Berufsunfähig, wenn sein Zustand „voraussichtlich auf Dauer“ anhält. Meist muss der Arzt mindestens eine Genesungsdauer von 6 Monaten oder
sogar 3 Jahren prognostizieren, damit die Versicherung leistet.
Gerade bei psychischen Erkrankungen wie Burn Out oder Depressionen sind der Grad und die voraussichtliche Dauer der Berufsunfähigkeit ein häufiger Streitpunkt.
Zahlt die Berufsunfähigkeitsversicherung bereits eine Rente, kann sie trotzdem noch regelmäßig ein sogenanntes Nachprüfungsverfahren durchführen (lassen). Dabei wird überprüft, ob die
Voraussetzungen für die Zahlung der BU-Rente noch vorliegen.
Für die Erkrankung ist eine Berufsunfähigkeitsrente ausgeschlossen
Liegen bereits beim Abschluss der Berufsunfähigkeitsversicherung Vorerkrankungen vor, schließt der Anbieter i.d.R. bestimmte Krankheiten vom Versicherungsschutz aus. (Alternativ
können teilweise auch höhere Beiträge kassiert werden.)
Beispiel: Der Kunde hatte bereits vor dem Abschluss der BU einen Bandscheibenvorfall. Im Vertrag sind daher Rückenleiden vom Versicherungsschutz ausgenommen. Wird der Versicherte aufgrund eines
weiteren Bandscheibenvorfalls berufsunfähig, muss die Versicherung nicht zahlen.
Anfechtung/Rücktritt
Da Vorerkrankungen den Berufsunfähigkeitsversicherungen die Möglichkeit geben, bestimmte Erkrankungen auszuschließen, legen sie sehr großen Wert darauf, dass beim Abschluss der
Versicherung auch alle Gesundheitsfragen korrekt, umfassend, vollständig und ehrlich beantwortet werden. Findet die Versicherung später heraus, dass die Angaben falsch waren, kann sie
daher vom Vertrag zurücktreten bzw. ihn wegen arglistiger Täuschung anfechten.
Da seit der Reform des Versicherungsvertragsgesetzes im Jahre 2008 ein Rücktritt die Leistungspflicht nicht gänzlich entfallen lässt, ist in der anwaltlichen Praxis festzustellen, dass die
Versicherer oft sofort die Anfechtung erklären, um sich so vollständig der Leistungspflicht zu entziehen. Noch vor der Reform des Versicherungsvertragsgesetzes war die Anfechtung
ein seltener Fall, heute ist sie eine der häufigsten Gründe für die Leistungsablehnung.
Die Anbieter prüfen die Angaben aus den Gesundheitsfragen erst, wenn der Versicherungsfall eingetreten ist. Dann kontaktieren sie die Ärzte des Kunden und fordern Krankenakten an. Auch lassen
sich die Versicherer oft von der Krankenkasse einen Auszug der dort abgerechneten Leistungen der letzten zehn Jahre geben. Selbst solche Vorerkrankungen, die nichts mit der aktuellen
Berufsunfähigkeit zu tun haben, oder reine Verdachtsfälle waren, dienen den Versicherern dann als Vorwand für eine Anfechtung. Teilweise unterstellen die Versicherer ihren Kunden selbst dann
arglistige Täuschung, wenn diese gar nichts von den Diagnosen ihres Arztes wussten.
Allerdings sind die Versicherer damit auch schon vor Gericht gescheitert. Das kann z.B. dann der Fall sein, wenn die Gesundheitsfragen nicht eindeutig genug gestellt wurden oder beim Abschluss
offensichtliche Lücken bzw. Widersprüche bei den Gesundheitsfragen nicht hinterfragt wurden.
Viel wichtiger ist aber die Tatsache, dass der Versicherer einen solch weitreichenden Auskunftsanspruch gar nicht hat. Hier ist es daher von entscheidender
Bedeutung, sich schon nach Eintritt des Versicherungsfalles bei der Beantragung der Leistungen aus der Berufsunfähigkeitsversicherung fachkundig beraten und gegebenenfalls
begleiten zu lassen.
Verzögerung und Zermürbung
Die Versicherungen verzögern oft die Bearbeitung des Leistungsantrages. Unterlagen und Gutachten werden oft mehrfach gefordert und die Bearbeitung wird verschleppt. Die
Versicherer wissen, dass sie bei der Berufsunfähigkeitsversicherung am längeren Hebel sitzen. Der Versicherte ist bei der Beantragung bereits gesundheitlich angeschlagen und hat meist auch wenig
finanziellen Spielraum.
Anschließend wird der Antrag abgelehnt und die Versicherung lässt es auf eine Klage ankommen – in der Hoffnung, dass sich der Kunde den Prozess ohnehin nicht leisten kann oder resigniert aufgibt.
Teilweise wird den bereits zermürbten Versicherten auch ein Vergleichsangebot unterbreitet, das nur einen Bruchteil der eigentlich zustehenden Leistungen beinhaltet.
Dem kann mit fachlicher, ggf. juristischer Unterstützung schon ab der Beantragung der Leistungen begegneten werden.
Das ist bei der Beantragung der Leistungen aus der Berufsunfähigkeitsversicherung zu beachten
Grundvoraussetzung ist die Beantragung der Leistungen. Eine zeitnahe Beantragung ist nicht nur für eine zügige Bearbeitung und Auszahlung wichtig. Als
Versicherungsnehmer sind Sie sogar verpflichtet, den Eintritt des Versicherungsfalls so schnell wie möglich zu melden. Manche BU-Verträge sehen auch vor, dass die Rentenzahlung frühestens mit dem
Zeitpunkt des Antrags beginnt.
Trotzdem sollte der Antrag nicht überstürzt abgegeben werden, sondern gewissenhaft und mit allen relevanten Informationen. Bestenfalls lassen Sie sich bei der
Antragstellung begleiten, beispielsweise durch den behandelnden Arzt, einem Rechtsanwalt oder den Vermittler, über den Sie die Versicherung abgeschlossen haben. Sorgen Sie außerdem
dafür, dass Sie den Eingang des Antrags bei der Versicherung auch beweisen können, beispielsweise mit einem Einschreiben oder indem Sie sich die persönliche
Übergabe von einem Mitarbeiter bestätigen lassen.
In der Kommunikation mit der Versicherung sollten sie außerdem immer misstrauisch sein. Insbesondere „großzügige“ Vergleichsangebote sollten Sie skeptisch
machen. Das gleiche gilt, wenn die Versicherung Ihnen anbietet, sich von einem Arzt untersuchen zu lassen – und so z.B. die Kosten für ein Gutachten zu sparen. Denn: Wenn die Versicherung den
Arzt schickt, wird er vermutlich auch von ihr bezahlt und handelt eher in deren Interesse als in Ihrem. Gutachter sollten Sie daher lieber selbst beauftragen.
Sie haben Fragen zum Abschluss einer Berufsunfähigkeitsversicherung oder möchten sich bei Ihrem Leistungsantrag beraten lassen?
Vereinbaren Sie am besten gleich einen Termin:
Ihr Stefan Schulz
Fachanwalt für Versicherungsrecht